Aschersleben (nr). Ist Alkohol im Straßenverkehr kein Thema mehr? Die provokante Fragestellung des Symposiums des BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr Landessektion Sachsen-Anhalt) an der Fachhochschule Polizei in Aschersleben am 18. Okt. beantworteten die referierenden Experten vor etwa 100 Teilnehmern mit einem klaren Nein.
Verkehrspsychologe Dr. Wolfgang Franz als Moderator rechtfertigte die Fragestellung auf Grund sinkender Fallzahlen bei Unfällen mit Personenschäden unter Alkoholeinfluss. Man müsse den Eindruck gewinnen, dass der Alkoholmissbrauch seine Brisanz verloren habe. Zugleich aber reiße die Kette schwerster Alkoholunfälle nicht ab, was das Symposium zu dieser Frage mehr als rechtfertige.
Kurt Rüdiger Maatz, Richter am BGH a.D., verwies auf die Unfallzahlen des Jahres 2016. Danach ereigneten sich unter Alkoholeinfluss 32.700 Unfälle. Somit stelle dieses Rauschmittel nach wie vor die größte Gefahr im Straßenverkehr dar. Der Schluss daraus müsse ein absolutes Alkoholverbot am Steuer sein. Dazu bedürfe es gesetzlicher Festschreibungen entsprechend der Verankerung im GG, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt ist. Dies ist bei der sogenannten absoluten Fahruntüchtigkeit, deren derzeitige Grenze durch die Rechtsprechung bei 1,1 Promille (für Kraftfahrer) und 1,6 Promille (für Radfahrer) nicht der Fall. „Diese Grenzwert-Rechtsprechung selbst bildet keine medizinisch-naturwissenschaftliche Aussage, ist rechtsdogmatischen und auch fachwissenschaftlichen Bedenken ausgesetzt und durch eine Reihe von Studien in der Praxis in Zweifel gezogen“, erläuterte Maatz. Schon deshalb bedürfe es einer Verankerung im Gesetz.
Thema bei Maatz war auch die Problematik des automatisierten Fahrens. 2017 hatte der Bundestag ein Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes beschlossen. Es stellt klar, dass der Betrieb von Kraftfahrzeugen mittels hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktion zulässig ist und sich der Fahrer vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugführung abwenden darf. Allerdings muss er so wahrnehmungsbereit sein, dass er die Steuerung wieder übernehmen kann, wenn er vom System dazu aufgefordert wird. Dies werfe zweifellos die Frage auf, welche Auswirkungen sich daraus auf den zulässigen Genuss von Alkohol und Drogen ergeben. Maatz bemängelte: „Es ist schon unbefriedigend, dass das Gesetz beim "automatisierten Fahren" das Maß an Sorgfalt nicht konkretisiert, sondern dies ganz allgemein der Rechtsprechung überlässt. Ich halte ein eindeutiges Signal gegen Alkohol und Drogen am Steuer im Gesetz für Fahrten im "Automatik-Modus" ganz allgemein und im Interesse der angestrebten Rechtssicherheit für unerlässlich“, so Maatz.
Die Fachärztin für Rechtsmedizin an der Universität Halle, Dr.Katja Jachau, ging in ihrem Beitrag unter anderem auf Probleme bei der Blutalkoholentnahme, Dokumentation bzw. Untersuchung der Probanden durch Polizei und Ärzte ein. Sie forderte von diesen Berufsgruppen mehr Professionalität. „Um bei der Bestimmung differenzierte und letztlich rechtsrelevante Untersuchungsergebnisse zu erhalten, müssen insbesondere die Angaben in den entsprechenden Formularen für Bewertungen vollständig verwertbar sein“, sagte Dr.Jachau. Dies sei vor allem bei der Problematik im Rahmen eines reklamierten Nachtrunks äußerst wichtig.
Der Dipl.-Psych. Dr.-Ing. Michael Minge aus Berlin ging auf Einflussfaktoren, empirische Befunde zu psychischen und motorischen Funktionseinschränkungen und speziell zur Fahrtüchtigkeit ein. Ein Schwerpunkt dabei das sogenannte Hangover-Phänomen, das in der Gesellschaft meist als „Katerstimmung“ bekannt ist. So werden Leistungseinbußen nach dem Konsum von Alkohol bezeichnet, die vorliegen, wenn die Blutalkoholkonzentration bereits wieder 0,0 Promille erreicht hat. „Wir beobachten hier eine Zunahme von Fahrfehlern um bis zu 20 Prozent, wobei eine Fülle von Einflussfaktoren eine Rolle spielen können. Dazu gehören Schwindel, Müdigkeit und Muskelschmerzen ebenso wie depressive Verstimmungen oder kognitive Einschränkungen.“ Minge forderte zu diesen Ergebnissen weitere Studien, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass bei Befragungen mehr als die Hälfte befragter Autofahrer schon in Katerstimmung am Steuer unterwegs war.
Polizeioberrat Andreas Pretzlaff aus Magdeburg zeichnete unter anderem ein Lagebild über die Feststellung folgenloser Trunkenheitsfahrten im Land Sachsen-Anhalt. Sie liege deutlich zu tief. „Pro einem ermittelten Unfall durch Alkohol werden statistisch bei normalen Kontrollen ohne Folgen nur 3,2 Alkoholsünder aus dem Verkehr gezogen. Bei Betäubungsmitteln liegt dieser Wert sieben Mal höher. Alkohol- und Drogenfeststellungen sind Kontrolldelikte“, sagte Pretzlaff. Fehlendes Personal verhindere, dass zurzeit keine Sonderdienste für nachhaltige Kontrollen möglich seien. Daneben würden dringend technische Innovationen benötigt wie beispielsweise für eine beweissichere und damit gerichtsverwertbare Atemalkoholanalyse. Pretzlaff machte deutlich: „Bleibt die Kontrolle aus, ist mit einer weiteren Verschlechterung der Verkehrssicherheit zu rechnen.“
Die einzelnen Referate werden in der Januar-Ausgabe 2019 der Zeitschrift BLUTALKOHOL veröffentlicht.