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31. März 2024
Prof. Dr. Thomas Daldrup
beauftragt vom BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr)
zu dem Ergebnis der im Rahmen des Konsumcannbisgesetzes (KCanG) vom BMDV im Dezember 2023 eingerichteten unabhängigen, interdisziplinären Arbeitsgruppe mit Experten aus den Bereichen Medizin, Recht und Verkehr sowie dem Bereich der Polizei.
Allgemeines: Die Beratungen der Expertengruppe erfolgten offenkundig unter der Vorgabe, dass der Gesetzgeber davon ausgehe, „dass es aufgrund der begrenzten Zulassung des Besitzes und des Konsums von Cannabis mit dem CanG erforderlich ist, das bisherige absolute Verbot des Führens eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Cannabis durch eine Regelung zu ersetzen, die – wie die 0,5-Promille-Grenze – einen Grenzwert für die durch den Cannabiskonsum hervorgerufene Substanz THC im Blut festlegt.“[1]. Diese Basis für die Arbeit der Expertengruppe ist im Hinblick auf die Sicherheit im Straßenverkehr als bedenklich zu bezeichnen. Aus Sicht des BADS kann nur das Ziel sein, weder unter dem Einfluss von Alkohol noch unter dem Einfluss von Cannabis noch unter dem Einfluss eines sonstigen berauschenden Mittels ein Kraftfahrzeug zu führen.
Prüfbericht: Die von der Expertengruppe formulierte Empfehlung (in der sog. Langfassung) dürfte für einen Laien auf dem Gebiet nicht leicht zu verstehen und nachvollziehbar sein. Bei einer genaueren Prüfung stößt man auf Punkte, die es notwendig machen, die Validität der Ergebnisse und damit den von der Gruppe vorgeschlagenen Grenzwert für THC im Blutserum beim Führen eines Kraftfahrzeugs kritisch zu hinterfragen. Auf einzelne Punkte wird nachfolgend genauer eingegangen:
(1)
Zunächst ist festzustellen, dass keine neuen, bisher bei Grenzwertdiskussionen unberücksichtigt gebliebene wissenschaftliche Arbeiten vorgestellt wurden. Als Basis für die Festlegung des THC-Grenzwertes auf 3,5 ng/mL diente letztlich nur eine einzige Studie aus dem Jahr 2006[2]. Die Autoren dieser experimentellen Arbeit berichten darüber, dass im Vergleich zu der Placebo-Gruppe bei der Probanden-Gruppe mit THC-Konzentrationen zwischen 2 und 5 ng/mL bereits eine signifikante Zunahme feinmotorischer Defizite festzustellen war. Bei der Probanden-Gruppe mit THC-Konzentrationen zwischen 1 und 2 ng/mL wurde noch keine signifikante Zunahme beobachtet. Weitere unmittelbar vergleichbare Arbeiten, die diese Ergebnisse bestätigen oder widerlegen, werden nicht erwähnt bzw. liegen bisher nicht vor.
Kritikpunkt 1: Die Festlegung des Grenzwertes basiert im Wesentlichen auf nur einer wissenschaftlichen Arbeit.
(2)
Unterstellt man, dass diese eine Arbeit so perfekt konzipiert wurde, dass weitere vergleichbare experimentelle Arbeiten die Ergebnisse vollumfänglich bestätigen, dann bleibt trotzdem die Frage, welche THC-Konzentration zwischen 2 und 5 ng/mL (diese Konzentrationen wiesen ja die Probanden auf) Basiswert für die Festlegung eines Grenzwertes sein könnte. Geht man von der Konzentration aus, ab wann es nach dieser experimentellen Arbeit zu signifikanten feinmotorischen Defiziten kam, so wäre 2 ng/mL der richtige Basiswert. Es wäre aber auch zu begründen, den höchsten Wert – hier die 5 ng/mL – als Basiswert zu wählen. Von der Expertengruppe wurde jedoch der berechnete Mittelwert, d. h. 3,5 ng/mL, als Basiswert gewählt. Wissenschaftlich begründen lässt sich genau dieser Wert jedoch nicht.
Kritikpunkt 2: Der Weg zur Ermittlung des Basiswertes als Grundlage für die Festlegung des Grenzwertes ist nicht überzeugend.
(3)
Da es sich bei dem Bereich 2 bis 5 ng/mL THC im Blutserum um das Ergebnis experimenteller Studien handelt[3], kann man die Ergebnisse nicht 1:1 auf die reale Situation bei Verdacht einer Fahrt unter Cannabiseinfluss übertragen, weil es durchaus 1 Stunde und mehr dauern kann, bis es zu der Blutentnahme kommt. THC wird unter Umständen sehr rasch aus dem Blut eliminiert. Eine Rückrechnung wie beim Alkohol auf den Tatzeitpunkt ist bei THC nicht möglich. Deshalb muss bei der Festlegung von THC-Grenzwerten die bis zur Blutentnahme erfolgte Elimination des Cannabinoids immer dann berücksichtigt werden, wenn man Daten aus experimentellen Studien nutzen möchte. Dies wurde von der Expertengruppe auch getan, jedoch mit einem festen Wert von 1 ng/mL. Dieser Zahlenwert wurde vom Basiswert abgezogen, sodass sich ein korrigierter THC-Basiswert von 2,5 ng/mL ergab[4]. Die Unterstellung, dass sich die THC-Konzentration im Zeitraum von dem Ereignis/der Tat bis zur Blutentnahme (es wurde eine Zeit von 1,5 Stunde von der Expertengruppe angenommen) um 1 ng/mL verringert (dies würde einer stündlichen Elimination von etwa 0,7 ng/mL entsprechen), ist sachlich nicht begründbar. So wurden beispielsweise in der von der Expertengruppe ausgewählten experimentellen Arbeit[5] zwischen der ersten und zweiten Stunde nach Konsum eine THC-Elimination von im Mittel 4,6 ng/mL, in der Zeit zwischen zweiter und dritter Stunde nach Konsum von im Mittel 2,9 ng/mL und in der darauffolgenden Stunde von im Mittel 1,2 ng/mL bestimmt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb nur 1 ng/mL und nicht 2 ng/mL oder mehr THC zwischen Tat und Blutentnahme eliminiert wird und deshalb vom Basiswert abzuziehen ist. Dies bedeutet, dass man bei Zugrundelegung der von der Expertengruppe verwendeten Daten zu einem THC-Grenzwert kommt, der nach unten von dem 3,5 ng/mL-Vorschlag abweicht.
Kritikpunkt 3: Der bei der Verwendung von Ergebnissen experimenteller Studien für die Festlegung eines THC-Grenzwertes zu berücksichtigende Wert für die THC-Elimination in der Zeit zwischen Tat und Blutentnahme ist im Sinne der Verkehrssicherheit zu niedrig angesetzt worden. Folglich ist der THC-Grenzwert zu hoch angesetzt worden.
(4)
Dem Anspruch der Expertengruppe, „bei der Festlegung eines Grenzwertes klare verständliche Regeln zu etablieren, an den sich Konsumenten orientieren können“[6], wird die Empfehlung nicht gerecht. Es wird insbesondere vermisst, dass nicht auf die erhebliche Diskrepanz zwischen der THC-Dosierung (Konsumeinheit) bei den experimentellen Studien (etwa 20 bis 40 mg THC/pro Zigarette[7]) und die neue Realität nach dem KCanG eingegangen wird, wonach pro Monat bis zu 50 g Cannabisblüten legal zum Eigenkonsum erworben werden können. Bei Cannabisblüten mit 15% THC-Gehalt bedeutet dies, dass hieraus theoretisch 250 THC-Zigaretten mit jeweils 30 mg THC hergestellt werden können (entspricht etwa 8 THC-Zigaretten pro Tag!). Die Realität sieht aber wohl so aus, dass die Konsumenten die Cannabisblüten u. U. pur rauchen und daher theoretisch ein Vielfaches der Menge an THC inhalieren, die die Fachleute von den publizierten experimentellen Studien her kennen. Wie bei solchen Konsummustern die Kinetik und Dynamik ist, ist weitgehend unerforscht. Von daher muss man vorsichtig sein, wenn man Verhaltensempfehlungen ausspricht. Es fehlt daher in der Empfehlung der Expertengruppe der Hinweis, dass die „klaren Regeln“ allenfalls dann gelten können, wenn die gerauchten THC-Zigaretten nicht mehr als 20 bis 40 mg THC enthalten.
Kritikpunkt 4: Es wird bei der Erläuterung des Grenzwertes nicht darauf eingegangen, wie das gemäß KCanG legale erworbene Cannabis letztendlich konsumiert und damit dosiert wird.
(5)
Die Empfehlung, für Cannabiskonsumenten ein absolutes Alkoholverbot zu fordern, ist richtig und vernünftig. Es ist aber ebenso notwendig, im Umkehrschluss bei Alkoholkonsum und Verkehrsteilnahme ein Cannabiskonsumverbot zu fordern. Dies wiederum bedeutet, dass der analytische Grenzwert für THC zumindest bei Mischkonsum beigehalten bleiben muss, um die Einhaltung eines Cannabis-Verbotes bei einem Mischkonsum zu überprüfen.
Kritikpunkt 5: Die Expertenkommission fordert kein Cannabiskonsumverbot bei Mischkonsum mit Alkohol und Drogen, wenn am Straßenverkehr teilgenommen wird. Dies ist konsequenterweise notwendig. Hierfür ist es aber erforderlich, den bisherigen analytischen Grenzwert für THC von 1 ng/mL (zusätzlich) beizubehalten.
Fazit zu den Punkten 1) bis 5): Es ist sehr nachvollziehbar, dass von Seiten des Stellvertreters für die Polizeien der Länder und des Bundes bei dieser Datenlage ein ablehnendes Votum abgeben wurde.
(6)
Neben diesen eher negativen Kritikpunkten ist ein Punkt positiv hervorzuheben: Bei Berücksichtigung der in der Fachliteratur publizierten Daten ist der Schluss erlaubt, dass die flächendeckende Einführung eines Speicheltests bei Verdacht einer Fahrt unter Cannabiseinfluss zielführend ist, da so diejenigen Verkehrsteilnehmer besser durch die Polizei herausgefiltert werden können, die tatsächlich noch in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt Cannabis konsumiert hatten. Hierdurch ließe sich das Problem in den Griff bekommen, dass solche Personen, die nach erheblichem Konsum vor mehr als einem Tag nur noch eher unbedeutende Mengen an Rest-THC im Blut haben, nicht mehr oder deutlich seltener belangt werden; ein Speicheltest sollte, wenn er qualitativ hochwertig ist, negativ ausfallen, falls der Konsum wahrheitsgemäß ausreichend lange Zeit vor Fahrtantritt eingestellt wurde. Es wäre daher zweckvoll, zunächst den Speicheltest einzuführen. Ein neuer THC-Grenzwert wäre dann noch nicht unmittelbar notwendig. Dieser sollte erst eingeführt werden, wenn neue experimentelle Studien zu einer besseren Datenlage führen. Ansonsten sollte der Grenzwert zunächst sehr moderat erhöht werden. Die Ausführungen der interdisziplinären Expertengruppe lassen bei kritischer Würdigung diesbezüglich ausreichend Spielraum.
Prof. Dr. Thomas Daldrup
c/o Institut für Rechtsmedizin des UKD
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf
E-Mail: fortoxi@uni-duesseldorf.de
[1] Langfassung Seite 1
[2] Ramaekers J G, Moeller M R, van Ruitenbeek P, Theunissen E L, Schneider E, Kauert G (2006) Cognition and motor control as a function of Delta9-THC concentration in serum and oral fluid: Limits of impairment. Drug Alcohol Depend 85: 114–122.
[3] Bei experimentellen Studien erfolgen die Blutentnahmen während bzw. unmittelbar vor oder nach dem jeweiligen Test. Die festgestellte Blutserumkonzentration gilt für dem Zeitpunkt des Tests/der „Tat“; ein Konzentrationsabfall durch Wirkstoffelimination bis zum Zeitpunkt der Blutentnahme ist daher nicht zu berücksichtigen.
[4] vergl. Seite 8 der Langfassung; dass sich dann bei der notwendigen Berücksichtigung der Messunsicherheit von 40 % (40 % von 2,5 ng/mL = 1 ng/mL) wiederum ein Wert von 3,5 ng/mL ergibt, ist rein zufällig.
[5] Ramaekers et al. 2006 (siehe oben)
[6] Langfassung S. 5
[7] bei 20 mg THC wären pro Zigarette 100 mg Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von 20% einzuwiegen; hierfür wird eine Mikrowaage benötigt.